12 Kurzgeschichten von Jus Frank wurden unter dem Titel "Mord und mehr" bei amazon veröffentlicht. Hier als kostenloses Geschenk eine davon:
Die Retterin
Schon
eine ganze Weile, ich muss zugeben, leider bereits seit drei Jahren, habe ich
meine Eltern nicht mehr gesehen. Was daran liegt, dass ich nach Beendigung
meines Studiums viel im Ausland war, quasi rund um den Globus unterwegs.
Wieder
ins Land geholt hat mich mein Bruder, der sich mit negativen Quantenzuständen
trotz positiver Gesamtenergie befasst und der seit kurzem an einem
unbeschreiblichen Experiment arbeitet, für das er mich als Versuchskaninchen
braucht.
Als
ich heute ins Wohnzimmer komme, das sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat,
gerade so, als ob es ohne Zeit und Raum am Rand eines schwarzen Loches auf ewig
feststeckt, reißt mein Vater die Augen auf, weicht zurück und betrachtet mich
beinahe erschrocken. Mir fällt auf, wie alt er geworden ist, richtig hinfällig,
nach rückwärts gewandt, denn nun fängt er an, fast tonlos, von Früher zu reden,
von schweren Stunden und den Kriegswirren im Land, dass sie nichts zu essen und
nichts zum anziehen hatten, dass das Haus nur noch eine Ruine gewesen war.
Geduldig
höre ich mir das alles an, denke ‚kalter Kaffe’ und ‚längst vorbei’, feixe mit
meinem Bruder und warte auf Mutter, die eine Flasche Wein aus dem Keller holen
ist. Da taucht sie auf, sieht mich auch so seltsam an, beginnt zu zittern, wird
blass und stolpert.
Mein
Bruder muss ihr den Wein aus der Hand nehmen, sonst hätte sie die Flasche, noch
eine alte mit Korken, noch fallen lassen.
Der
auf mich gerichtete sonderbare Blick bleibt, Mutter starrt genauso wie Vater,
als ob ich ein Geist wäre. Und tatsächlich scheint sie mich mit irgendwem zu
verwechseln, denn jetzt stößt sie hervor: „Du bist es, die uns damals gerettet
hat! Du bist unser Engel!“
Ich
bin mir keiner Rettungsaktion bewusst und frage nur: „Wann, Wo und Wie?“
„Im
Krieg, als wir am Verhungern waren, da hast du uns gebratene Enten und anderen
wunderbare Sachen gebracht“, sagt Mutter, und Vater, dessen Gesicht zu zucken
anfängt, ergänzt: „Ja, sie ist es, sie sieht nicht nur so aus, sie hat das
gleiche Kleid an.“
Ich
verdrehe die Augen zur Decke, lange mir an den Kopf, deutet an, dass ich die
Eltern für übergeschnappt halte, aber so, dass sie es nicht sehen können, was
gar nicht möglich ist, weil beide starr und stumm nur mich betrachten.
Allmählich wird mir angst und bange, denn jetzt richtet sich auch mein Bruder
wie elektrisiert auf, kommt auf mich zu, umarmt mich und drückt mich immer
wieder: „Du Engel, du Engel, du!“
„Hallo“,
rufe ich, „ich bin keine Erscheinung, ihr kennt mich! Ich bin eure Tochter und
deine Schwester! Und ich bin lange nach dem Krieg geboren!“
„Das
ist der Beweis“, ruft mein Bruder und tanzt um den Tisch: „Ich bin mir jetzt
sicher, dass meine Versuchsanordnung klappt, kein Strahlenblitz wird dich beim
Erreichen des Zeithorizonts töten, du kommst wieder zurück.“
Er
öffnet umständlich die Flasche, nimmt nach dem Einschenken einen Schluck Wein,
faltet eine Serviette und versucht es mir zu erklären: „Die Krümmung der
Raumzeit reicht aus, begreif doch, wir können es wagen, dich weg zu schicken
und wieder zu holen. Was auf mikroskopischer Basis schon möglich ist, gelingt
uns auch im Makrobereich.“
„Aha“,
hauche ich, „alles wird blau und immer blauer!“
Dann
sehe ich zu, dass ich die Kurve kriege. Er folgt mir, lässt mich nicht gehen,
schiebt mich zurück ins Haus, hinein in sein Labor mit dem blauen Licht und der
seltsamen Apparatur.
„Genau,
du hast es erfasst, mit dem blauen Licht gelangen wir in alle Richtungen, die
Zeitschleifen berühren jeden Punkt“, behauptet er, „die Zeit läuft nicht nur
geradewegs in die Zukunft, nein, auch rückwärts und dann wieder vor!“
Plötzlich
begreife ich und sage: „Du weißt, ich komme wieder, aber erst muss ich noch in
den Supermarkt, um gebratene Enten, Reis, Orangen und so weiter zu kaufen,
sonst verhungern unsere Eltern in jungen Jahren!“
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