Mittwoch, 15. Januar 2014

Science Fiction Kurzgeschichte



12 Kurzgeschichten von Jus Frank wurden unter dem Titel "Mord und mehr" bei amazon veröffentlicht. Hier als kostenloses Geschenk eine davon:

 Die Retterin

Schon eine ganze Weile, ich muss zugeben, leider bereits seit drei Jahren, habe ich meine Eltern nicht mehr gesehen. Was daran liegt, dass ich nach Beendigung meines Studiums viel im Ausland war, quasi rund um den Globus unterwegs.
Wieder ins Land geholt hat mich mein Bruder, der sich mit negativen Quantenzuständen trotz positiver Gesamtenergie befasst und der seit kurzem an einem unbeschreiblichen Experiment arbeitet, für das er mich als Versuchskaninchen braucht.
Als ich heute ins Wohnzimmer komme, das sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat, gerade so, als ob es ohne Zeit und Raum am Rand eines schwarzen Loches auf ewig feststeckt, reißt mein Vater die Augen auf, weicht zurück und betrachtet mich beinahe erschrocken. Mir fällt auf, wie alt er geworden ist, richtig hinfällig, nach rückwärts gewandt, denn nun fängt er an, fast tonlos, von Früher zu reden, von schweren Stunden und den Kriegswirren im Land, dass sie nichts zu essen und nichts zum anziehen hatten, dass das Haus nur noch eine Ruine gewesen war.
Geduldig höre ich mir das alles an, denke ‚kalter Kaffe’ und ‚längst vorbei’, feixe mit meinem Bruder und warte auf Mutter, die eine Flasche Wein aus dem Keller holen ist. Da taucht sie auf, sieht mich auch so seltsam an, beginnt zu zittern, wird blass und stolpert.
Mein Bruder muss ihr den Wein aus der Hand nehmen, sonst hätte sie die Flasche, noch eine alte mit Korken, noch fallen lassen.
Der auf mich gerichtete sonderbare Blick bleibt, Mutter starrt genauso wie Vater, als ob ich ein Geist wäre. Und tatsächlich scheint sie mich mit irgendwem zu verwechseln, denn jetzt stößt sie hervor: „Du bist es, die uns damals gerettet hat! Du bist unser Engel!“
Ich bin mir keiner Rettungsaktion bewusst und frage nur: „Wann, Wo und Wie?“
„Im Krieg, als wir am Verhungern waren, da hast du uns gebratene Enten und anderen wunderbare Sachen gebracht“, sagt Mutter, und Vater, dessen Gesicht zu zucken anfängt, ergänzt: „Ja, sie ist es, sie sieht nicht nur so aus, sie hat das gleiche Kleid an.“
Ich verdrehe die Augen zur Decke, lange mir an den Kopf, deutet an, dass ich die Eltern für übergeschnappt halte, aber so, dass sie es nicht sehen können, was gar nicht möglich ist, weil beide starr und stumm nur mich betrachten. Allmählich wird mir angst und bange, denn jetzt richtet sich auch mein Bruder wie elektrisiert auf, kommt auf mich zu, umarmt mich und drückt mich immer wieder: „Du Engel, du Engel, du!“
„Hallo“, rufe ich, „ich bin keine Erscheinung, ihr kennt mich! Ich bin eure Tochter und deine Schwester! Und ich bin lange nach dem Krieg geboren!“
„Das ist der Beweis“, ruft mein Bruder und tanzt um den Tisch: „Ich bin mir jetzt sicher, dass meine Versuchsanordnung klappt, kein Strahlenblitz wird dich beim Erreichen des Zeithorizonts töten, du kommst wieder zurück.“
Er öffnet umständlich die Flasche, nimmt nach dem Einschenken einen Schluck Wein, faltet eine Serviette und versucht es mir zu erklären: „Die Krümmung der Raumzeit reicht aus, begreif doch, wir können es wagen, dich weg zu schicken und wieder zu holen. Was auf mikroskopischer Basis schon möglich ist, gelingt uns auch im Makrobereich.“
„Aha“, hauche ich, „alles wird blau und immer blauer!“
Dann sehe ich zu, dass ich die Kurve kriege. Er folgt mir, lässt mich nicht gehen, schiebt mich zurück ins Haus, hinein in sein Labor mit dem blauen Licht und der seltsamen Apparatur.
„Genau, du hast es erfasst, mit dem blauen Licht gelangen wir in alle Richtungen, die Zeitschleifen berühren jeden Punkt“, behauptet er, „die Zeit läuft nicht nur geradewegs in die Zukunft, nein, auch rückwärts und dann wieder vor!“
Plötzlich begreife ich und sage: „Du weißt, ich komme wieder, aber erst muss ich noch in den Supermarkt, um gebratene Enten, Reis, Orangen und so weiter zu kaufen, sonst verhungern unsere Eltern in jungen Jahren!“
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