Dienstag, 15. Oktober 2013

"Besuch bei Moses" - Eine Zeitreise in die Vergangenheit


Die klugen Wissenschaftler haben mir gesagt, dass ich heute ganz weit in der Zeitschiene zurück muss, um für sie zu schauen, was Moses macht. Er wird, sagen sie, am Rand der Wüste sein und sich auf einen Überfall vorbereiten, weil er Land und Ressourcen erobern will. Ich soll mir alles genau anschauen, vor allem, ob sie wirklich schon Zelte haben, die entfernt an ein römisches Heerlager erinnern. Für den Übertritt in die vorbiblische Epoche haben sie mir, damit mich niemand anzufassen wagt und ich heil wieder zurück komme, ein langes weißes Kleid aus Seide und eine Krone aus dem Theaterfundus zum Aufsetzen gegeben, hinter der sich eine Minikamera verbirgt.
Zunächst aber muss ich, um keinen Menschenauflauf im Lager der Israeliten zu verursachen, ein unauffälliges Gewand aus grobem Leinenstoff anziehen und das feine Kleid unter den Arm klemmen, denn ich soll mich erst umkleiden, wenn ich ganz dicht bei seiner Unterkunft bin. Es könnte ja sein, dass ich nicht punktgenau lande, sondern etwas marschieren muss bis ich an Moses herankomme, was schwierig werden könnte, da er nach dem letzten Aufstand streng bewacht und abgeschirmt wird.
Ein Kommilitone rät mir davon ab, das Wagnis auf mich zu nehmen, denn ich würde die Begegnung mit dem Patriarchen nicht überstehen, orakelt er. »Pass auf, Moses ist gewalttätig, er hat schon zu Beginn seiner Karriere als charismatischer Anführer einen Aufseher um die Ecke gebracht.« Ich ignoriere seine Bedenken, weil ich neugierig bin und Punkte bei meinem Professor sammeln möchte, was für meine Abschlussarbeit äußerst wichtig ist. Folgsam ziehe ich den aus ein und demselben Faden gefertigten Sack an, der an den Zipfeln Quasten und blaue Schnüre hat  und stelle mich in die Beam-Box, damit sie mich wie ein Paket auf die Reise durch Raum und Zeit schicken können. Ich fühle mich himmlisch, denn bald wird es biblisch.
Etwas mit dem Transmitter für die Zeitreise klappt noch nicht, es dauert und dauert. Für alle Fälle habe ich etwas Fladenbrot und Wasser in einem Lederbeutel dabei. Ich warte ewig, mir wird langweilig. Also trete ich für einen Augenblick aus der Kabine heraus und schnappe mir das Reklameheft eines Supermarktes, das draußen auf einem Stuhl liegt. Auf dem Titel ist das Bild einer Wäschespinne, die sich mit einem Zugseil öffnen und zusammen klappen lässt. Wieder an Ort und Stelle zurück wird mir beim Blättern auf einmal ganz anders, ich löse mich in meine Einzelteile auf, schließlich landet mein Körper mit den Sandalen voraus im Sand.
Ich bin mitten unter den Stämmen, nicht weit von der Stiftshütte, wo Aaron und seine Söhne die Opfer für Gott räuchern, was nach dem Waschen des Fleisches ziemlich viel Rauch verursacht. Von fern sehe ich hohe Mützen tragende Priester in ihrer Amtstracht aus blauem und rotem Purpur mit eingewebten Goldfäden, am Säum Granatäpfel und Glocken, darüber viel Gold und darunter Beinkleider. Dem Heiligtum mit seinen Säulen, Teppichen und Fellen, haben sie mir eingeschärft, darf ich mich nicht nähern, denn sonst würden sie mich umbringen.
Eine Frau schaut aus ihrer Behausung heraus. Sie stellt sich als Schelomith vor, hat verweinte Augen und sagt zu mir: »Pass auf, die mögen hier keine Fremden. Mein Mann ist Ägypter, das ist für mich der wahre Grund, warum mein Söhnchen gesteinigt wurde. Meine Landsleute sagen, der Kleine hat im Streit mit einem israelitischen Mann im Lager dem Herrn geflucht und dadurch Gotteslästerung begangen.«
Ich setzte mich zu ihr und sie erzählt mir: »Erst hat Moses in Ägypten zugeschlagen, dann ist er geflohen und hat die Leute zum Mitkommen überredet, denn seine Überzeugungskraft ist groß. Wenn wir zu anderen Völkern kommen und sie bezwingen, lässt er alle umbringen, egal ob Kinder oder Frauen oder Männer. Fremde, ausländische Leute sind ihm ein Gräuel«.
Sie zeigt mir, wo Moses wohnt und warnt noch mal: »Ein gefährlicher Mann mit viel Macht«.
Jetzt fürchte ich mich, gehe schnell weiter und will mir zur Sicherheit heimlich mein Seidenkleid anziehen. Da drückt sich neben mir ein Mann in den Schatten, der am ganzen Leib zittert. »Gehörst du auch zu den Aufständigen und musst dich verstecken?«, flüstert er. Ich senke stumm den Kopf, da werde ich zum dritten Mal gewarnt: »Pass auf, dass sie dich nicht erwischen, sonst verschwindest du in der Versenkung wie Datha und Abiram. Ich unterstütze Korah, denn Moses und sein Bruder Aaron gehen zu weit. Sie schonen niemand, wenn einger gegen sie aufbegehrt, selbst ihre eigenen Leute nicht. Viele hat er mit dem Schwert niedergemacht, weil sie im Lager ein goldenes Kalb aufgestellt hatten.«
»Er scheint ein diktatorischer Herrscher zu sein«, sage ich, aber er fragt: »Diktatorisch, was ist das?«
»Das Gegenteil von demokratisch«, stelle ich fest, aber da fragt er schon wieder ganz ratlos: »Demokratisch, was meinst du damit?«
Ich will mich endlich anziehen, da sieht er an mir herab, entdeckt entsetzt, dass ich unbeschnitten bin und weicht vor mir zurück. »Als Götzendiener wirst du hier nicht überleben«, ruft er und flüchtet.
Als ich fertig angezogen zu Moses herein schlüpfe, habe ich noch immer das Prospekt in der Hand. Er blickt auf und fällt, obwohl schon alt und weißhaarig, vor mir auf die Knie. Es ist ihm anzusehen, dass er einen Gast wie mich eher auf dem hohen Berg oder im Innern der Stiftshütte erwartet hätte. Dann fragt er mich: »Was hast du da, was bringst du mir, was sind das für seltsame Bilder, die ganz wunderbar aussehen und gar nicht wie unsere Steintafeln.«
»Das ist eine Wäschespinne zum Zusammenklappen«, erkläre ich, »dran werden nasse Kleider gehängt, die im Wind trocknen sollen.«
»Mein Volk ist ständig unterwegs, für Zeug, das man vor dem Aufbruch zusammenklappen kann, habe ich eine Schwäche, aber da fehlen Griffe zum Tragen dran«, meint er, »doch lass sehen, was da noch ist.«
»Ein Mixer zum Zerkleinern von Obst, ein Turbo-Grill für Fleisch und eine Friteuse für Pommes frites«, sage ich zu ihm und deute auf die Abbildungen, um rasch anzufügen: »Aber das alles kannst du nicht gebrauchen, denn du hast ja keinen Strom und kennst keine Kartoffeln.«
Mit dem Finger an der Nase überlegt er: »Bei uns gibt es Altäre, wir haben Manna zum Essen und nachts leuchtet die Wolke über unserem Heiligtum wie eine Feuersäule.«
Ich zeige auf den Wasserkocher rechts im Prospekt und er lacht: »Wasser kochen ist ja ganz einfach, das kann jeder, und diese merkwürdigen Stiefel da, die brauchen wir nicht, dafür ist es uns an den Füßen bei dieser Hitze viel zu heiß. Was ist das für eine Gerätschaft?«, fragt er und deutet auf ein Notebook, ganz neu und modern.
»Da kann ich alles nachsehen, vom Gesetzestext über die Wetterlage bis hin zu Informationen über Länder und Städte«, stottere ich.
»Unser Gesetzestext«, meint er, »ist längst in Stein geschrieben und ruht in der Bundeslade, Blitz und Donner fürchten wir und die Neuigkeiten bringen mir meine ausgesandten Späher, alles andere wird mir offenbart«.
»Wie wäre es mit einer Waschmaschine?«, frage ich, doch er sagt: »Dafür haben wir unsere Frauen.«
Ich zeige ihm stolz eine Bohrmaschine, blättere aber rasch weiter, weil er doch keinen Strom besitzt. Da ist graue Arbeitskleidung aus Polyester für Handwerker zu sehen und er lacht: »Scheußlich, alles grau in grau, keine Bommeln, kein Purpur und keine Edelsteine. Mache dass du fort kommst, du falsche Schlange, du hast nichts, mit dem du mich verführen kannst!«
Ich denke an meinen Auftrag und frage ihn mutig: »Mein Auftraggeber will wissen, weshalb du 40 Jahre brauchst, um an dein Ziel kommen. Was hindert dich, das gelobte Land einzunehmen, in dem Milch und Honig fließen?«
Moses wird zornig: »Du weißt doch, dass mein Volk halsstarrig ist und sich vor den Riesen fürchtet«.
Jetzt ist es an mir, laut aufzulachen: »Glaube mir, es gibt keine Riesen, das sind Märchen«.
»Wie, du kennst nicht Enaks Kinder, das hohe Volk? Das eiserne Bett von König Og ist neun Ellen lang und vier Ellen breit«, ruft er aufgebracht und mir kommt die Erinnerung an den Bericht von den Göttersöhnen, die sich vor der Sintflut mit Menschentöchtern eingelassen und Riesen gezeugt hatten.
»Ich weiß nur das, was man mich gelehrt hat«, entgegne ich, um ihn zu besänftigen. Dann bitte auftragsgemäß um etwas Manna, denn an meiner Universität streiten sie sich noch immer, ob es sich um Harz von der Tamariske oder um Honigtau von Blattläusen handelt.
Moses greift hinter sich nach einem Krug, in dem er die Dinger, die wie weißer Koriandersamen sein sollen, aufbewahrt. »Meine Frau Zippora ist bei ihrem Vater, da wurde noch kein Kuchen daraus gebacken«, sagte er.
Ich strecke meinen Arm aus, probiere das süße Zeug und nehme eine Probe mit, wobei ich anerkennend sage: »Eigentlich wäre ich heute lieber zum Spiel der Bayern gegangen und hätte nach dem Weißwurstessen meine Freundin geküsst, aber das hier ist besser!« Moses starrt mich entgeistert an: »Beim Haderwasser, die sprichst von verbotenem Spiel, unreinem Fleisch und offener Unzucht“, ruft er ganz außer sich. Bevor ich reagieren kann, holt Moses mit seinem Stock aus, um den sich symbolisch eine Schlange windet, ganz so wie beim Asklepiosstab, der für Apotheken Reklame macht. Der Schlag trifft mich heftig und unerwartet auf den Kopf. Ich fühle, wie die in meiner Krone versteckte Kamera zerspringt und falle hin, nur um kurz darauf im Krankenhausbett der Universität aufzuwachen.
»Das mit der Weißwurst war wohl zuviel«, sage ich zum Arzt, der sich über mich beugt und mir einen Kopfverband anlegt. Mein Professor, der neben dem Doktor am Bett steht, erklärt mir: »Als du nach dem Manna gegriffen hast, hat Mosche das Tattoo mit den Hörnern auf deinem Unterarm entdeckt und rot gesehen«.

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