Beim Blick auf den weißen Hügel fallen mir die Murmeltiere auf, die mit
einem schrillen Pfiff in ihren Erdhöhlen verschwinden. Der Wetterumschwung hat
heftige Schneestürme gebracht, mir ist kalt, äußerlich und ums Herz. Unser kleiner
Fluss ist zu einem reißenden Bach geworden, in dem Eisschollen treiben.
Jenseits, in den Bergen, krachen die Geweihe von Steinböcken aneinander, im Rudel
jagen Gämsen an mir vorbei, ich sehe das erste Schneehuhn, es ist erfroren.
„Normalklima“, habe ich gelesen, „bedeutet nicht vergletscherte Erdpole“. Bisher waren die
Pole der nördlichen und südlichen Hemisphäre mit einem Eispanzer bedeckt. Seit
dem letzten Jahrzehnt erfolgt der Umschwung, es geht schnell, viel zu schnell,
die Gletscher kommen immer näher, die mit Eis und Schnee bedeckten Flächen
werden zusehends größer, klirrende Kälte greift nach dem Leben.
Bei der anhaltenden Kältephase funktioniert das Internet nur
noch sporadisch, in den Nachrichten sucht der Sprecher ein letztes Mal händeringend
nach einer Erklärung. Er berichtet von Klimaschwankungen, verringerter
Sonnenaktivität, geringfügiger Erdbahnänderung, Neigung der globalen Erdachse,
fehlendem Wärmetranssport durch die Meerstraßen, Nachlassen des Golfstroms,
Magnetumpolung. Alles gemeinsam trage zur Vereisung bei, nichts Genaues weiß
man nicht.
„Wir müssen gehen, heute noch“, sage ich zu meinen Leuten,
die sich nicht vorstellen können, dass wir einschneien, unter Schneemassen
erfrieren, vom Gletscher überrollt werden, unter einem Eispanzer verschwinden.
Große Teile Asiens, Europas und Nordamerikas sterben den Kältetod. Wir ziehen
uns an, vermummt brechen auf, lassen alles zurück. Unser Ziel ist das
geschrumpfte Mittelmeer, wo sich die Grenzschützer auf der anderen Seite die
Geschichte einer umgekehrten Flucht erzählen.
Als sie wegen Dürre und Hunger, Seuche und Krieg zu uns
kamen, sich in unsere Richtung in Bewegung setzten, haben wir ihre Schiffe,
voll mit Flüchtlingen, abgefangen und zurückgeschickt, Mauern gebaut, hoch und
lang, aus Stacheldraht mit messerscharfen Spitzen. Nur wenige Jahrzehnte ist es
her, da lief der Tross de Asylsuchenden entgegengesetzt, von den heißen Ländern
in klimatisch erträglichere, ertragreichere Gegenden. Was jetzt mit uns geschieht,
wissen wir nicht, noch hoffen wir, dass unsere Erde nicht zu einem Schneeball
wird. ENDE
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