Sonntag, 29. Dezember 2013

Erinnerungen ans Schlaraffenland

Schreiben ist mein Leben oder anders ausgedrückt, ich schreibe für mein Leben gern. Lange Jahre habe ich als Journalistin Berichte und Reportagen für Zeitungen verfasst, später kam der Wunsch auf, Romane zu schreiben und endlich Zeit für Gedichte zu haben. Darin bin ich meinem Vater gefolgt, der auch schon Redakteur war, der in seiner Freizeit mit Freuden reimte. Da er Schlaraffe war, hatte er dazu reichlich Gelegenheit, weshalb ich heute im Rückblick erzählen möchte, was mir als weiblichem Familienmitglied von dieser wortgewaltigen Männerwelt noch in Erinnerung geblieben ist.
Bei den Schlaraffen gibt es Ritter und Knappen, die Wortgefechte in Form von Reimen austragen. Als Mitglied der Schlaraffia Heidelberga, die 1883 von einem Berliner Schauspieler gegründet worden war, traf er sich zum Dichterwettstreit im langen, schwarzen, glänzenden Mantel und breiter Kopfbedeckung aus Samt mit anderen, die sich den weisen Uhu als Wappentier ausgesucht hatten.
Die Heidelberger Schlaraffen kommen in der Tiefburg zusammen, wo einmal im Jahr, zur Uhubaumfeier, auch die Frauen und Kinder dabei sein dürfen. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich neben dem mit roten Uhus geschmückten Tannenbaum stand und wie alle Kinder ein Gedicht vortragen sollte. Obwohl ich mit klarer Stimme begann, hallte mir aus dem Saal der Burg mehrfach der Ruf entgegen: „Wir hören nichts“. Erst nach zwei weiteren, immer lauteren Versuchen begriff ich, dass ich eine wichtige Regel vergessen hatte. Ehe jemand zu reden beginnt, muss er „Schlaraffen hört“ rufen, sonst hören die nichts.
Einmal wollte ein verliebter Ritter auch eine Schlaraffen-Abteilung für Frauen gründen, doch ein Zwischenrufer machten damals diesen gut gemeinten Versuch zunichte, indem er „zwei rechts, zwei links“ rief, womit er das Bild einer strickenden Runde andeutete. Da warf derjenige, der den Vorschlag unterbreitet hatte, ihm den Fehdehandschuh vor die Füße. Das war das Signal zu einem heftigen Gefecht, das in Versen ausgetragen wurde.
Ein kleines Gedicht meines Vaters hat mir übrigens zum Jahresabschluss die gute Note in Musik im Zeugnis verdorben. Das kam so: Ich hatte alle von unserem Lehrer auf dem Klavier vorgespielten Töne erkannt und sämtlich Fragen beantwortet, da sollte ich zum Abschluss noch ein Lied singen. Ich aber sang einen Vers, den mein Vater mir am Abend zuvor vorgetragen hatte. Der ging so:
Reich mir mal den Becher her, Becher her
Denn der Wein der schmeckt nach mehr, schmeckt nach mehr
Wollens doch nicht hoffen, dass ich werd‘ besoffen…
Die Klasse grölte und der Musiklehrer lief rot an. Er hatte etwas in der Richtung von „Winde weh‘n, Schiffe geh’n“ erwartet, weshalb er sich in seiner Ehre gekränkt fühlte und ziemlich verärgert zeigte.
Wenn ich an meinen Vater denke, dann auch an seine Dichtkunst und die Schlaraffen, die als Erkennungszeichen eine kleine weiße Perle am Revers ihres Jacketts tragen und sich mit „Lulu Euch“ begrüßen. Als er starb, legten die Schlaraffia einen Kranz auf sein Grab, auf dessen Schleife „Ein letztes Lulu“ stand.  Tage späte war ich bei meinem künftigen Mann und hörte die Postbotin zu meiner Schwiegermutter in spe sagen: „Die Schleife habe ich abgeschnitten, denn ich wollte nicht, dass die arme Frau und die Kinder den Gruß dieser Lulu sehen“.

In diesem Sinne: Lulu Euch. Und noch viele gute Gedichte wünscht Jutta Scherer-Frank, kurz Jus Frank.  

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