Schreiben ist mein Leben oder anders ausgedrückt, ich
schreibe für mein Leben gern. Lange Jahre habe ich als Journalistin Berichte
und Reportagen für Zeitungen verfasst, später kam der Wunsch auf, Romane zu
schreiben und endlich Zeit für Gedichte zu haben. Darin bin ich meinem Vater gefolgt,
der auch schon Redakteur war, der in seiner Freizeit mit Freuden reimte. Da er Schlaraffe
war, hatte er dazu reichlich Gelegenheit, weshalb ich heute im Rückblick
erzählen möchte, was mir als weiblichem Familienmitglied von dieser
wortgewaltigen Männerwelt noch in Erinnerung geblieben ist.
Bei den Schlaraffen gibt es Ritter und Knappen, die
Wortgefechte in Form von Reimen austragen. Als Mitglied der Schlaraffia
Heidelberga, die 1883 von einem Berliner Schauspieler gegründet worden war, traf
er sich zum Dichterwettstreit im langen, schwarzen, glänzenden Mantel und
breiter Kopfbedeckung aus Samt mit anderen, die sich den weisen Uhu als
Wappentier ausgesucht hatten.
Die Heidelberger Schlaraffen kommen in der Tiefburg zusammen,
wo einmal im Jahr, zur Uhubaumfeier, auch die Frauen und Kinder dabei sein
dürfen. Ich erinnere mich noch lebhaft, wie ich neben dem mit roten Uhus
geschmückten Tannenbaum stand und wie alle Kinder ein Gedicht vortragen sollte.
Obwohl ich mit klarer Stimme begann, hallte mir aus dem Saal der Burg mehrfach
der Ruf entgegen: „Wir hören nichts“. Erst nach zwei weiteren, immer lauteren Versuchen
begriff ich, dass ich eine wichtige Regel vergessen hatte. Ehe jemand zu reden
beginnt, muss er „Schlaraffen hört“ rufen, sonst hören die nichts.
Einmal wollte ein verliebter Ritter
auch eine Schlaraffen-Abteilung für Frauen gründen, doch ein Zwischenrufer
machten damals diesen gut gemeinten Versuch zunichte, indem er „zwei rechts,
zwei links“ rief, womit er das Bild einer strickenden Runde andeutete. Da warf derjenige,
der den Vorschlag unterbreitet hatte, ihm den Fehdehandschuh vor die Füße. Das
war das Signal zu einem heftigen Gefecht, das in Versen ausgetragen wurde.
Ein kleines Gedicht meines Vaters
hat mir übrigens zum Jahresabschluss die gute Note in Musik im Zeugnis
verdorben. Das kam so: Ich hatte alle von unserem Lehrer auf dem Klavier
vorgespielten Töne erkannt und sämtlich Fragen beantwortet, da sollte ich zum
Abschluss noch ein Lied singen. Ich aber sang einen Vers, den mein Vater mir am
Abend zuvor vorgetragen hatte. Der ging so:
Reich mir mal den Becher her,
Becher her
Denn der Wein der schmeckt nach
mehr, schmeckt nach mehr
Wollens doch nicht hoffen, dass
ich werd‘ besoffen…
Die Klasse grölte und der
Musiklehrer lief rot an. Er hatte etwas in der Richtung von „Winde weh‘n,
Schiffe geh’n“ erwartet, weshalb er sich in seiner Ehre gekränkt fühlte und
ziemlich verärgert zeigte.
Wenn ich an meinen Vater denke, dann auch an seine
Dichtkunst und die Schlaraffen, die als Erkennungszeichen eine kleine weiße Perle
am Revers ihres Jacketts tragen und sich mit „Lulu Euch“ begrüßen. Als er
starb, legten die Schlaraffia einen Kranz auf sein Grab, auf dessen Schleife
„Ein letztes Lulu“ stand. Tage späte war
ich bei meinem künftigen Mann und hörte die Postbotin zu meiner Schwiegermutter
in spe sagen: „Die Schleife habe ich abgeschnitten, denn ich wollte nicht, dass
die arme Frau und die Kinder den Gruß dieser Lulu sehen“.
In diesem Sinne: Lulu Euch. Und noch viele gute Gedichte
wünscht Jutta Scherer-Frank, kurz Jus Frank.
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