Text © Jutta Scherer-Frank 2013
Gespenstisch, frech und grau
Die Gespensterkinder im alten Schloss waren alle gleich: gespenstisch, frech und grau. Das heißt, in einem Punkt unterschieden sie sich etwas: Gordon war dicklich, Marie rappeldürr und Jonas ziemlich lang. Aber das spielte keine Rolle, weil niemand sie sehen konnte. Die Besucher des alten Schlossen ließen daher die Gespensterkinder in Ruhe. Und die Gespensterkinder konnten in Ruhe die Besucher ärgern.
Über Winter war allerdings nicht viel los in dem alten Schloss. Deshalb freuten sich Gordon, Marie und Jonas, als an einem nebligen Tag eine ganze Gruppe von Arbeitern mit Nägeln und Hämmern, mit Pinseln und Farbe auftauchte. Sie wollten das alte Schloss fein machen!
Die Gespensterkinder sahen sich die Handwerker genau an. "Wir müssen einen Ärgerplan aufstellen", sagten sie zu einander.
"Ich bin euer Anführer", erklärte Gordon der Marie und dem Jonas, "weil ich der Kräftigste bin."
"Nein", meinte die dünne Marie, "ich bestimme, da ich überall am besten hinkomme."
"Und wer hat den größten Überblick?", erkundigte sich der lange Jonas, wobei er die Nase hoch in die Luft hob.
Gordon ließ die Sache keine Ruhe. Die anderen sollten sehen, dass er etwas Besonderes war! In der kommenden Nacht ließ er sich in einen lilablauen Farbtopf fallen und war fortan tatsächlich sehr angesehen bei Marie und Jonas. Lilablau war kein anderes Gespenst weit und breit. Schon gar nicht im alten Schloss.
Doch Gordon wurde nicht nur angesehen sondern auch gesehen. Von den Arbeitern im und am alten Schloss. Die Gespensterkinder konnten diese nicht mehr in Ruhe ärgern. Sobald Godon dabei war, merkten die Arbeiter etwas.
Da stellten Marie und Jonas ihren Anführer zur Rede: "Wir müssen uns trennen!", sagte Marie. "Du bist eine Gefahr für uns!", meinte Jonas.
Gordon sagte gar nichts. Er lief weinend hinaus in den Burghof. Warum nur hatte er mehr sein wollen als die anderen?
Kaum sahen die Arbeiter das lilablaue dicke Gespenst, jagten sie schreiend und schimpfend hinter ihm her. Gordon sprang in seiner Not in den mit Wasser gefüllten Burggraben. Schwimmend wollte er flüchten.
Da geschah das Wunder. Die lilablaue Farbe wurde schwach und immer schwächer und ging schließlich ganz ab. Gordon war wieder ein Gespenst wie alle anderen: gespenstisch, frech und grau.
Das war auch besser so, zumal sein Führungsanspruch nicht echt sondern nur aufgetüncht gewesen war.
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