Donnerstag, 19. September 2013

Aus der Traum

An regnerischen oder kalten Tagen wünsche ich mir, einfach im warmen Bett liegenbleiben zu können, statt in aller Frühe hinaus ins „feindliche Leben“ zu müssen. Doch das Schicksal hat uns meist zu Menschen mit Pflichtbewusstsein gemacht, was komischer Weise mit Frühaufstehen gleichgesetzt wird.
Da wir weder Höhlenbären sind noch uns wie Igel im Winter verstecken können, werden Sprüche wie „Morgenstund’ hat Gold im Mund“ oder „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ zur Allerweltsweisheit erhoben.
Obwohl Schulkinder den ganzen Tag Zeit haben, sind Erwachsene in unserem Land unerbittlich und läuten die Schulglocke schon vor dem Wachwerden. Ich erinnere mich, wie meine Mutter jeden Morgen ins Zimmer kam, mich aus den schönsten Träumen riss und behauptete: „Die Schule ruft!“
Oft musste ich mir eine Ausrede für mein Zuspätkommen überlegen und beneidete alle Tiere, die klüger sind als wir Arbeitstiere. Mit der Erfindung, der Wecke habe nicht geklingelt, konnte ich nicht mehr kommen. Einmal wollte ich der Lehrerin weismachen, ich sei von einer Straßenkehrmaschine nass gespritzt worden und habe daraufhin zum Umziehen wieder nach Hause gehen müssen. „Unser Ort hat gar keine Straßenkehrmaschine, aber deine Fantasie ist lobenswert“, lachte sie.
Ein viel zu kurzes Paradies für Leute mit intakter innerer Uhr ist die Universität. Danach muss sich aber auch der ausgeprägte Langschläfer einen Beruf suchen. Aber was nutzt die kluge Entscheidung, einen Job mit Terminen am Abend auszuwählen. Erstens kommt alles anders und dann auch noch anders als man denkt.
Wer nämlich Kinder hat, der weiß, dass zunächst sogar die Nachtruhe vorbei ist. Noch ehe der Hahn kräht, kräht das Baby. Es folgt die Kindergartenzeit mit Erzieherinnen, die leicht sauer werden, wenn Mutter samt Kind allzu lange auf sich warten lassen. Das störe den geregelten Ablauf, die gemeinsame Zeit, das Ritual in der Gruppe.
Es schließt sich, welch ein Kreislauf, die Schulzeit des Nachwuchses an, der nicht ohne Frühstück aus dem Nest soll. Eine lange Zeit des Frühaufstehens.
Heute ging auch meine letzte Hoffnung zunichte, wenigstens im Rentenalter ausschlafen zu dürfen. Ich rief eine pensionierte Kollegin an und beneidete sie um die Freiheit, nicht mehr dem Diktat der Uhr zu unterliegen. „Ach“, sagte sie, „in meinem Alter kann man gar nicht mehr so lange schlafen. Da ist schon bei Tagesanbruch die Nacht vorbei“.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen