Montag, 19. August 2013

Fremd bei Marie


„Schau doch mal nach der Frau meines neuen Kollegen aus Italien. Sie haben auch ein kleines Kind, aber die Frau ist unsicher wegen der Babynahrung hier bei uns, vielleicht kannst du ihr ja helfen und sie beraten“, so lautete ein Spezialauftrag meines Mannes, der noch hinzufügte, dass Marie aus Ecuador stamme und das Baby im Alter von unserer Kleinen, also noch nicht ein Jahr alt sei. Zugegeben, ich ließ mir Zeit und einige Tage verstreichen, dann packte ich unser Töchterchen in die Tragschale und düste zusammen mit ihr im Auto zu einem Überraschungsbesuch bei Marie los. Solange ihr Mann in Deutland arbeitete, lebte Marie mit ihm auf dem Land, in einer mir unbekannten Ortschaft, die gar nicht so weit von meinem damaligen Wohnsitz entfernt lag.
Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, möglicherweise eine dicke, hilflose Mama mit einem schreienden Säugling auf dem Arm, auf keinen Fall aber eine Dame von Welt, die mir rein kleidungs- oder schminktechnisch und auch sonst noch etwas vormachen konnte. Auf mein Klingeln öffnete eine äußerst attraktive Frau die aussah wie ein Modell, groß und schlank, mit langen, wunderbaren Haaren, eine beeindruckende, perfekte Erscheinung.
„Endlich, ich habe schon auf Sie gewartet“, sagte sie zu meiner Verwunderung, zog mich ins Wohnzimmer und sah mich erwartungsvoll an. Zunächst unterhielten wir uns über die Kinder, alles in einem Englisch, das wie unsere Geheimsprache klang und von einem Außenstehenden wahrscheinlich nicht als solches identifiziert worden wäre.
Woher wusste sie, dass ich heute kommen würde und wieso hatte sie schon auf mich gewartet, fragte ich mich dabei die ganze Zeit, während ich merkte, dass Marie von mir etwas anderes als einen Höflichkeitsbesuch erwartete, nur was? Fast hätte ich ihr schon hellseherische Fähigkeiten zugetraut, dann stellten wir gleichzeitig fest, dass sie mich mit jemand anderem verwechselte, nämlich mit einer Deutschlehrerin, die sie bestellt hatte. Wir verstanden uns bestens, lachten über dieses Missverständnis und tauschten Telefonnummern aus.
Sie war eine gute Gastgeberin, fütterte sogar meine kleine Tochter, deren Augen leuchteten, als ein Bällchen, das aussah wie Vanilleeis auf einem von Marie gereichten Löffel vor ihrem Mund tanzte. Marie sprach spanisch mit dem Kind, fuhr mit dem Löffel vor und zurück, steigerte die Erwartung, bis endlich das Mündchen zuschnappen und die Köstlichkeit umschließen konnte. Dann sah ich nur noch, dass meine Kleine alles in hohem Bogen ausspuckte, was mit sehr peinlich war, aber so sind Kinder halt. Zur Verteidigung meines Töchterchens muss ich erwähnen, es war kein Eis, sondern Mozarella aus der Region in Italien, aus der Marie's Mann stammt. Es kann schon gut sein, dass der Geschmack ein Kind befremdet, das Eis erwartet.

Wenig später rief sie mich an: „Du Juuuta, vor meiner Tür steht ein Mann, der sich nicht abweisen lässt und behauptet, er müsse unbedingt in meine Wohnung.“ Ich war sprachlos. „Ein fremder Mann?“, vergewisserte ich mich und fügte vorsorglich an: „Nur nicht reinlassen, der hat Recht darauf, das ist auch in Deutschland nicht üblich!“
„Aber er sagt, es wäre notwendig, dass er reinkommt, das sei in Deutschland Pflicht“, teilte mir Maria mit.
„Wie sieht er denn aus, der Mann?“ fragte ich voller Misstrauen.
Marie lachte auf: „Er ist ganz schwarz, nein, er hat einen schwarzen Anzug an und einen Hut auf, wie wenn er zum Tanzen gehen wollte.“
Komisch, dachte ich, der kann doch nicht einfach in Marie's Wohnung eindringen, zumal ich versichert bekam, dass es sich nicht um den Vermieter handelte, der nachsehen wollte. Vor allen Dingen der Hut machte mich ratlos.
„Schmeiß ihn raus!“, befahl ich in unserem Englischcode, den wir uns angewöhnt hatten.
„Er lässt sich nicht!“, sagte Marie gleich darauf ganz alarmiert: „Er ist schon in unserer Wohnung und schaut sich um.“
Mein Herz schlug. Wer konnte das sein, der meine neue Freundin derart belästigte, in einem schwarzen Anzug und einem Hut, wie wenn er mit ihr zum Tanzen wollte?
„Dann gib ihn mir mal ans Telefon“, sagte ich verzweifelt, wohl wissend, dass ich aus der Ferne bei Gefahr nichts für sie tun konnte, höchsten die Polizei alarmieren.
Im Hintergrund hörte ich, wie Marie sich verständlich zu machen versuchte und schließlich darauf eine dröhnende Männerstimme ihr im breiten hiesigen Dialekt antwortete, was ich leider nicht verstand. Es polterte und schlurfte, Schritte kamen näher.
Um Himmels willen, was ging da vor? Wer hatte Marie in seiner Gewalt?
Dann war der Mann, der in Marie's Augen wie ein schwarz gekleideter Tänzer aussah, am Telefon und gab mir Auskunft: „Grüß Gott, hier ist der Bezirksschornsteinfegermeister!“, sagte er und dann noch: „Die hawwe in Ecuador wohl käh Kamine, odder?“
Wir haben das nie geklärt, dafür reichte unser gemeinsamer Wortschatz nicht aus.


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